Skandale

Ich verwende hier die Mehrzahl, für Zurückgebliebene sei erklärt, dass die Einzahl "Skandal" sich nennen tut. Aber: wie heisst es so schön: ein Skandal kommt selten alleine. Ich habe auch schon herausgefunden warum: früher, ja früher werden viele sagen, ja früher, da war alles anders und natürlich besser; da kam der Skandal alleine und erregte Aufsehen. Heute, naja, viele haben es kapiert – der Skandal hat immer noch Angst, verbrüdert sich mit anderen Skandalen und kommt nun als Skandalhorde auf uns zu. Und somit: niemand interessierts!

Ein Beispiel: der Dieselskandal – natürlich ein Skandal. Der verbrüdert sich nun mit einem zweiten und einem dritten – also Hersteller A, Hersteller B und so fort. Schon ist der Skandal nicht mehr alleine, muss somit auch keine Angst mehr haben, denn er ist nun in der Mehrzahl. Aber: der Mathematiker erkennt sofort – er ist nicht in der Mehrheit. Was ist zu tun? Abhilfe schaffen lassen durch Lobbyisten! Das sind Menschen oder Gremien, die helfen, einen Skandal nicht alleine da stehen zu lassen – und die tun das, weil sie auf der Gehalteliste von den Skandalfirmen stehen: Politiker, Journalisten, Experten. Wir bleiben bei unserem Liebling: dem Auto. Eigentlich kümmert es den Arsch [siehe Beitrag vom Vormonat] nicht besonders, wenn er sich von A nach B transportieren lässt, was da aus dem Allerwertesten seines Karrens ausgeblasen wird. Ach was, denkt der, was interessiert mich das, meine Abgaswerte sind OK. Ein Skandal? Mitnichten! Ein Skandal alleine – ha, den interessiert niemand. Ein Mauerblümchen, das weder durch Bild noch durch grandiose Berichte in der Presselandschaft (manche nennen es Lügenpresse – aber da ist ein anderer Skandal!) von sich Reden macht. Ein Mauerblümchen, ein Nichts, ein Hauch von Nichts. Aber, weil eben der Skandal Angst hat, verbrüdert er sich mit anderen seiner Sorte. Abgaswerte – die lassen sich manipulieren (2. Skandal) und alles lässt sich vertuschen (3. Skandal), und wenn es aufkommt, dass manipuliert und vertuscht wurde, kann man das Gegenteil behaupten (4. Skandal) und wenn nachgewiesen wird, dass das Gegenteil nicht stimmt, bindet man einfach die Politik mit ein (5. Skandal). Und die Politik, die beginnt das Spiel von vorne (6. Skandal), man vertuscht, lügt, behauptet (7. 8. und 9. Skandal) und jetzt hat es der kleine Mann [wenn ich „Mann“ schreibe, meine ich auch „Frau“], der einen Diesel fährt schon etwas schwerer mit seiner Entscheidung: Dreckschleuder retour – Prämie kassieren, weiterfahren bis nix mehr geht, oder auf die Öffis umsteigen und im Sommer für bella Italia einen Mietwagen buchen … der geneigte Leser stellt fest, es gibt keine Skandale mehr, es gibt Prämien, Hilfen, Öffis und immer noch die Pizza in bella Italia. Skandal – Skandale? Hä, wo, wer, was  – ich nix wissen! Auch Frau Merkel weiss von nix – das beruhigt doch. Da liebe ich den bösen, bösen Onkel aus Amerika, der da meint "Amerika first" und die Autobauer klagt. Thank you Mr. President – wir wissen nun, was ein Skandal ist!

Milliardenbeträge sind offensichtlich notwendig, um die Missstände rund um Luftbelastung wieder in den Griff zu bekommen. Kein Problem, wenn das nun die Autoindustrie bezahlen muss, die uns ja alle, die wir mit Diesel fahren, gelinkt hat. Nö, sagen da die Politiker, das soll die Öffentlichkeit bezahlen; und das Leute ist ein Skandal. Eigentlich mehrere! 

Nein, das soll kein Spätsommer-Frühherbst-Politik-Beitrag werden. Nö, wir betreiben Wissenschaft. Aber auch da gibt es sie. Einen oder eben mehrere Skandale –  aber auch eine wissenschaftliche Kriegserklärung! Jawohl! Nun, ich beginne bei einem Skandal: Im Bregenzer Wald, da gibt es weit verbreitet den Apollofalter. Er fliegt dort seit den Aufzeichnungen der Entomologen [wahrscheinlich auch schon früher!], die ihn dort beobachtet – und Schande, dort auch gesammelt, aufgespiesst und darüber schwadroniert haben: Grosse Punkte, kleine Punkte, rot oder orangerot, Abart oder Unterart, Variation? – egal, der Apollo hat es überlebt. Und die Leichen kamen oder kommen ins Museum. All das ist noch kein Skandal. Nun aber hat ein Autorenkollektiv darüber schwadroniert, was für den Apollofalter nützlich sein könnte, damit er überleben kann. Warum sollte er es nicht können? Ach ja, Landwirtschaft – ja, ja – die muss jährlich immer mehr produzieren, damit noch rentabel – und sie muss ihre Abfälle los werden. Ein überhöhter Viehbestand verlangt nach mehr km² Fläche, um das stinkende Zeugs zu entsorgen. Ups, Fläche lässt sich nicht vermehren – kein zweites Stockwerk und kein Keller, wo man die Scheisse und Jauche hinkarren könnte. Ein Skandal! Keine Angst, liebe Leute, ein Skandal kommt nie alleine – es gibt einen zweiten, dritten und vierten – und dann kommt irgendwann die Frage: und welcher wiegt denn nun am schwersten? Dann zieht man Experten zu Rate, und die rätseln und schreiben, und der interessierte Laie – ja dem versucht man ein O für ein U vorzumachen – will heissen: das muss man sich jetzt länger ansehen, muss mehr beobachten, ein weiteres Projekt muss ins Leben gerufen werden, um dem gesunden Menschenverstand zu erklären „Du bist krank“. Ja, und im Bregenzer Wald, dort wo ein paar Schlaue vor Jahren noch zu ihrer eigenen und der Rindviecher/Schweine-Scheisse sich auch noch holländische Hühnerkacke liefern liessen, um sie in den geliebten mit Edelweiss und Alpenrosen [siehe Prospekte der Tourismusverbände] bestandenen Gebieten auszubringen. Naja, ein halber Skandal: die Milch der Kühe liess sich nicht mehr zu Käse verarbeiten – schöne Scheisse!

Daraus kann man lernen! Nun sucht man nach Möglichkeiten die eigene Kacke [ich meine die der Rindviecher] doch noch auf die Wiese zu bringen, punktgenau zwischen die Apollofalter-Raupen und die Disteln, auf denen die Falter saugen. Einem Schillerfalter oder Admiral könnte man noch eine Freude bereiten, aber weder der Fetthenne (Futterpflanze der Apolloraupen), dem Apollo selber, den Disteln – und auch mir. Ich erkläre mich mit den drei vorgenannten solidarisch. Und da können die vom Autorenkollektiv schwadronieren soviel sie wollen, mit Güllewerfern kann man nicht punktgenau am Sedum, Apollo oder der Distel vorbei die Scheisse in die Landschaft klatschen. Da helfen auch die „Mags“ vorne dran nichts [bei den Autoren!]. Denn all das, was da "auch als Chance für den Apollofalter" publiziert wurde, ist akademischer Nonsens – ein Skandal! 

Zahlt den Bauern eine Ausgleichsprämie [sofern eine solche nicht schon auf den Konten gelandet ist] macht aus den Bauern Landschaftspfleger, wir brauchen weder Milchsee, Butterberg oder höhere Agrarexporte. Bietet den gestressten und 48 Wochen mit einer Scheissluft versorgten Bürgern vier Wochen lang saubere Luft, extensive Landwirtschaft, den Apollofalter, das Sedum und die Disteln – von mir aus auch den skandalösen Autobauern, Ingenieuren, Beamten, Politikern und sonstigem skandalumwitterten Abschaum unserer ach so zufriedenen Gesellschaft. Und wenn die dann so dumm sind, und auf unseren schönen Bregenzer Wald verzichten wollen, um auf irgendwelchen Inseln ihr an der Finanz vorbeigeschleustes Geld zählen wollen, dann liebe Leute, dann sei's drum, auf diese Skandalproduzenten können wir alle gerne verzichten…

meint "der Brandstetter"

[und ab sofort wird jetzt zurückgeschossen, mit Worten und Leserbriefen]


Und jetzt werden viele fragen, um was es hier geht. Nein, es geht nicht um Eure stinkende NOx-produzierende Karre, es geht auch nicht um Ingenieur oder Automarke oder Politiker [die haben ja schon artikuliert: wir haben von nichts gewusst…]

Es geht um den Apollofalter, der auch in der nächsten Generation auf einer Distel saugen möchte….

 

…. um die Fetthenne (Sedum album) und….

…um einen Beitrag, der dem Apollofalter ein Chance geben möchte und zwar, weil Güllewerfer punktgenau zum Einsatz kommen sollen. Beispiele gefällig:

Güllewerfer No 1

Güllewerfer No 2

Güllewerfer No 3 – Hier kommen wir dem Landschaftsbild des Allgäus oder Bregenzer Walds sehr nahe. Man mache sich ein Bild, was man unter "punktgenau" verstehen könnte!


Vielleicht sind die vorgezeigten Güllewerfer nicht der Technik letzter Gag, aber das ist in Prüfung [Ergänzung mit erhaltener Mitteilung: Nach Rücksprache mit dem landwirtschaftlichen Sachverständigen gibt es eine sogenannte bodennahe Gülleausbringung mit der, im Vergleich zum Spritzverfahren mit Hockdruckfässern, relativ genau gearbeitet werden kann. Im steilen Gelände (also oftmals im montanen bis alpinen Gelände) wird diese Technik allerdings selten verwendet, da das Befahren der Flächen eine Voraussetzung ist.]. Und ob die auszubringende oder ausgebrachte Kacke dem Apollofalter nützt – ist ebenfalls in Prüfung [Ergänzung mit erhaltenen Mitteilungen: (1) Gülle auf Apollofutterpflanze kenne ich auch aus Südtirol, habe das zur Abschreckung auch in Referaten und (2) Ihre Position kann ich nur nachdrücklichst unterstützen! Es ist eben auch nicht damit getan, dass die braune Soße nicht direkt auf die zu schützenden Flächen trifft, weil sehr viel daraus gasförmig entweicht (Ammoniak etc.) und die nähere bis weitere Umgebung mitdüngt. Über Jahrzehnte waren das in Deutschland jährlich 30 bis 50 kg Reinstickstoff pro Hektar; eine Menge, die vor dem 2. Weltkrieg als Ziel der Volldüngung für Deutschland angestrebt worden war. Leider greift die Güllewirtschaft auch in Österreich und der Schweiz immer mehr um sich – und vernichtet Biodiversität]. Zu prüfen sein wird, ob Landwirte eine Förderung in diesem Gebiet bekommen haben oder bekommen werden, weil sie mit Güllewerfern die Landschaft "extensiv" bewirtschaften.


Literatur:

Bauer, C. & Feurle, A. W. (2017): Erfassung und Bewertung der Vorkommen des Apollofalters (Parnassius apollo) im Naturpark Nagelfluhkette. inatura – Forschung online, 39: 14 S.


Wenn dieses Beispiel Schule macht, werden sich die Lobbyisten der Landwirtschaft immer und ewig darauf berufen, dass das punktgenaue Ausbringen von Gülle mittels Güllewerfer sogar den Apollofalter schützt. Und wie war das mit dem gesunden Menschenverstand?


Übrigens – ab sofort kann eine Publikation aus 2017 "Das Verschwinden der Schmetterlinge" [Statusbericht des renommierten Biologen Professor Dr. rer. nat. Josef H. Reichholf – er bestätigt den dramatischen Rückgang der Schmetterlinge mit Blick auf die Vielfalt der Arten und ihre Häufigkeit] bei der Deutschen Wildtierstifung Hamburg gratis angefordert werden.   

 




Vor Jahrzehnten besuchte ich das Gebiet um die Kapelle in Sippersegg – damals flog dort der Apollofalter in Dutzenden Exemplaren. Eine Exkursion Ende Juni 2018 bringt zutage: die Veränderungen in der Landschaft im "Wald" sind enorm – es ist eine zugeschissene "Grüne Wüste". Im Gebiet gibt es gerade noch 1 (iW eine) Distel im Schutz eines Steins. Das Konglomerat – vulgo die Nagelfluh-Felsen – werden von der Vegetation überwuchert. Fotos findet man hier




In der Saure-Gurken-Zeit hat sich der ORF des Themas angenommen und einen Bericht mit der Autorin des Inatura-Berichts gestaltet. Dabei widerspricht sich die Autorin massiv – der Bericht ist aber nach wie vor online.  

                     

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