Realitäts-Check

Heute machte ich etwas, was ich sonst nicht mache: ich fuhr Auto – auf Schleichwegen – quer durch Vorarlberg. Das letzte Mal fuhr ich diese Strecke vor etwa 20 Jahren, ich war erstaunt, wie sich alles verändert hat. Das kleine Rinnsal, an dem ich damals noch Eintagsfliegenlarven beobachten konnte, war nicht mehr da. Ha, am Strassenrand ein Autostopper, wo der wohl hin will. Wahrscheinlich in Ihre Richtung, meint er, einfach in Ihre Richtung….

Es entspann sich ein Gespräch, das nachdenklich machte. Er: "Schöne Gegend, aber halt recht eintönig". Ja, meinte ich, wo früher Lebensräume für viele Tiere waren, gibt es heute Beton, Asphalt, Maisäcker. Er: "das ist ein Zeichen von Wohlstand". Ja meinte ich, aber die Leute verwechseln dabei meistens Lebensstandard und Lebensqualität. Er: "wie meinen Sie das?" Einfach ausgedrückt: Lebensstandard ist wenn man kein Plumpsklo mehr hat, sondern eine sanitäre Einrichtung, und Lebensqualität ist, wenn man Zeit hat, neben der Verrichtung auf dieser Einrichtung ein Buch zu lesen. "Ja" meinte er, "aber die Leute haben heute fast keine Bücher mehr und in den Bibliotheken gäbe es nicht mehr das, womit man sich Bildung aneignen könne, sondern nur mehr Wissen". Und das ginge schneller mittels Google. Der Strassenverkehr nahm dramatisch zu auf der kleinen Strasse und ich hörte kaum seine Worte: "und hier spielt sich der Wahnsinn pur ab. Jeden Tag stünden die Grenzgänger im Stau, das wegen ein paar Franken mehr, dieser Stress, das tägliche Hamsterrad habe keinen Notausgang, höchstens am Wochenende, aber da müsse man den Garten in Ordnung halten. – Ich: "Muss man das wirklich". Ja, meinte er entschieden, sonst würde man hier zum Aussenseiter. Geschniegelt müsse hier alles sein, kein Unkraut am Vorplatz, der Rasen im gleichmässigen Bürstenschnitt. Man sähe an einem Samstag alle nur am Schuften wie Sklaven ihres Hauses und am Sonntag machen sie dann alle einen Ausflug. Die Sportler zu Fuss oder mit dem Fahrrad, die anderen halt mit dem Karren. – Ja, warf ich ein, aber nur, wenn man den auf Hochglanz poliert hat.

Und die Maisäcker, meint er, das sei eine Sünde. "Meine Worte" sagte ich. – Er: "man produziert etwas, was man entweder zum Füttern der Rindviecher verwendet oder zum Produzieren von Biogas und Strom, den man nicht braucht, ebenso wie Milch und Fleisch, weil mehr produziert würde, als wir schlucken können."  Ich bestätigte: "Ja, der Naturschutz hat hier keinen Stellenwert mehr". – Vollbeschäftigung sei wichtig im Ländle, das sei hier so die Politik (er betonte das eher wie Politick), damit die Leute nicht zum Nachdenken kommen, denn sonst wären sie alle unzufrieden.

In ein paar hundert Meter könne ich ihn bei seinem Haus aussteigen lassen. Uups, tolles neues Haus, Vorplatz in Beton, poliertes Auto vor dem prächtigen Garagentor, kein Aussteiger, auch, wenn er jetzt ausstieg….

So kann man sich täuschen und hinters Licht führen lassen… es lebe das Hamsterrad, meint

Clemens M. Brandstetter  

               

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