Essig fliegen

Unsere deutsche Sprache ist sicherlich nicht einzigartig; wer chinesisch spricht, weiss, dass ein Begriff eine andere Bedeutung bekommt, wenn man das Wort anders betont – und so soll so mancher Chinareisende nie zu seinem Reis gekommen sein, den er immer wieder und wieder bestellte; immer gab es etwas anderes zum Essen, nur weil er das Wort falsch betonte.

So ist es auch mit "Essig fliegen" – was glaubt der Laie, wie Essig aus Italien in die ganze Welt kommt? Der aus Modena fliegt rund um die Welt als "Aceto balsamico di Modena" und der Essighersteller lässt somit Essig fliegen. Und Essig hat immer eine Mutter. Und die Mutter wird nicht aus einer Rippe gezaubert, sondern entsteht, wenn eine leicht alkoholische Flüssigkeit (Most oder Wein) offen stehen gelassen wird und sich unter Einfluss von Sauerstoff (vulgo Luft) Pilze "fermentieren" und sich diese entstandenen Pilzfäden zu einer galertartigen Pilzfädenmasse zusammenfinden. Diese Pilze sind aber Bakterien und sie gehören zur Gattung Acetobacter und nun kann man als Essigproduzent ein Perpetuum mobile in Gang setzen, denn die Mutter des Essigs vermag nun – sozusagen als Katalysator*in – die Essigproduktion anzuheizen. Der Autor der Zeilen ist begeisterter Essighersteller und es macht ihm Freude, verschiedenste Essigsorten zu produzieren – allerdings ganz ohne Mutter, denn er kauft guten Most- oder Weinessig und setzt diesen mit verschiedensten Früchten an, sodass der Essig die Duftstoffe der Früchte übernehmen kann. Manche der Essigsorten gewinnen, manche verlieren und verderben den ursprünglich gut riechenden Essig.

Essig ist übrigens ein hervorragender Kalklöser – geplagte Hausfrauen können ein Lied von Kalkablagerungen singen, die sich mit im Handel erhältlichen Reinigungsmitteln nicht entfernen lassen. Das Zauberwort und -mittel heisst in diesem Falle Essig. Wer übrigens Zahnprothesenträger ist, kann feststellen, dass dies auch für Ablagerungen auf den Zahn-Imitaten gilt. Nichts reinigt besser – und forscht man nach Desinfektionsmitteln, so kommt man auch wieder auf Essig. Dieser wurde schon im Mittelalter verwendet, zwar nur von verantwortungsvollen Helfern, Hebammen und Ärzten – allerdings scheint dies der moderne Mensch erst wieder lernen zu müssen. Jahrelang starben etwa 40.000 Patienten – jährlich – in deutschen Krankenhäusern an "händisch" übertragenen Krankheiten. Seit der Installation von Seifenspendern vor und in den Krankenzimmern konnte diese Zahl geteilt werden. 

Wie gesagt, es geht hier um die deutsche Sprache – und so müssen wir – ob wir nun wollen oder nicht – auch noch ein paar Worte zu den Essigfliegen verlieren. Der Autor hofft, dass sie der geneigte Leser wiederfindet und sich beim aufrechten Sitzen zu Gemüte führt, auf dass er etwas dazulerne, wenn er sich nun mit den Essigfliegen befassen muss oder darf. Sie – diese kleinen Plagegeister – wurden wissenschaftlich als Drosophila benannt. Im Laufe der Zeit befasste sich der Mensch mit dieser Gattung und stellte fest, dass sich innerhalb dieser Gattungen zahlreiche andere Gattungen verbergen – und so will die Wissenschaft die kleinen Tierchen richtig Sophophora rufen. Für die bekannten Arten, wie ehemals Drosophila melanogaster wird es ein Disaster werden, denn man wird in Zukunft nach diesem zweiten – richtigen – Namen suchen müssen, um die neuesten Publikationen zu den Essigfliegen finden zu können. Wir wollen hier korrekt handeln, wie es ja auch von der Politik immer wieder gefordert wird, und verwenden den nun gültigen Namen Sophophora melanogaster.  Diese Art liebt es sich auf Gärendes zu stürzen und sich dort an Pflanzensäften zu laben. Uns gehen sie auf den Geist und wir denken nicht daran, uns korrekt zu verhalten. Wir werden zu Rassisten (denn einer Hornisse würden wir Tür und Tor öffnen, damit sie entfleuchen könnte und würden niemals daran denken, sie zu erschlagen, so wie es Kain mit Abel tat) und sinnen über die beste Methode nach, wie wir die Sophophoren loswerden. Tür und Tor zu öffnen bringt nichts, denn es kämen weitere Kumpane. Ausserdem gibt es in der Zwischenzeit eine zugezogene Art aus dem Osten: Sophophora suzukii – diese Art liebt es, an Fallobst aller Art zu saugen. Obstbauern sind nun zum Angriff übergegangen: knapp vor der Ernte werden  Äpfel und andere Früchte halt nochmals gespritzt – nun zum x-ten Male plus Eins.

Wir kommen wieder auf den Autor dieser Zeilen zurück, der auch Fallobst verwertet, wenn es denn gefallen ist. Und so kommt es, dass sich Dutzende der Tierchen an den Lagerstätten einfinden. Und nun ersann er eine brauchbare Methode, um auf kleinstem Raum am effektivsten zu töten: eine kleine Tasse wird mit ein paar Tropfen eines Mittels befüllt, das dem Essig, der später eingefüllt wird, die Oberflächenspannung raubt, sodass sich die Tierchen – sobald sie auf dem Essig wandeln wollen – sich plötzlich in diesem befinden, um so in den Fliegenhimmel zu gelangen. Zusätzlich zum Essig erhalten sie als Narkosemittel etwas Schnaps, man will ja nicht grausam sein! All das wird in die Tasse gefüllt und nun kommt ein kleiner Trick, der das schlechte Gewissen ob des dutzendfachem Mordens nimmt: abgedeckt wird nun alles mit einer transparenten Folie, sodass die Tierchen sehen, was mit ihren süchtigen Artgenossen passiert: sie könnten enthaltsam leben, wie die Nichtraucher*innen oder die enthaltsamen Mensch*innen. Sie sehen, was passiert – dennoch offenen Auges laufen sie vom Alkohol angeheitert ins Verderben – schlechtes Gewissen: Nein – meint

"der Brandstetter"       

Zurück nach Oben!