Salz, Salat und Subversion

Vom stillen Widerstand gegen Imperien, Ideologien und Konzerne

Als Mahatma Gandhi im Jahr 1930 zum Salzmarsch aufbrach, trug er kein Schwert, sondern ein Spinnrad – und eine Idee. Er wollte das britische Empire nicht mit Gewalt bekämpfen, sondern mit einem einfachen, symbolischen Akt: Salz aus dem Meer schöpfen, ohne britische Erlaubnis. Damit stellte er sich gegen ein koloniales Wirtschaftssystem, das ausbeutete und entmündigte. Der Boykott britischer Waren, das Tragen selbstgesponnener Kleidung und die Förderung lokaler Produktion waren Teil eines gewaltfreien, aber wirkungsvollen Widerstands. Gandhi erkannte: Wer die Abhängigkeit unterbricht, unterbricht auch die Herrschaft.

Doch wirtschaftlicher Boykott kann auch zerstörerisch sein. Die nationalsozialistische Parole „Kauft nicht bei Juden“ zielte nicht auf Befreiung, sondern auf Vernichtung. Hier ging es nicht um Unabhängigkeit von einer Besatzungsmacht, sondern um die systematische Ausgrenzung und spätere Ermordung einer Minderheit. Dieselbe Methode – ökonomischer Entzug – diente hier nicht der Menschlichkeit, sondern der Entmenschlichung. Der Unterschied liegt nicht im Mittel, sondern in der Absicht.

Heute stehen wir erneut vor einer Frage der Abhängigkeit – nicht von Kolonialmächten, sondern von Konzernen, die unsere Lebensmittel, unsere Medikamente, unsere Kommunikation und unsere Energieversorgung kontrollieren. Giganten wie Bayer, Nestlé, Amazon oder Gazprom strukturieren ganze Lebensbereiche. Und wieder stellt sich die Frage: Können wir ihre Macht brechen – durch bewussten Verzicht, durch Selbstversorgung, durch lokalen Widerstand?

Was, wenn wir statt Pestizid-Tomaten aus Spanien wieder eigene ziehen? Was, wenn wir Salz nicht im Supermarkt kaufen, sondern mit anderen teilen, die selbst schöpfen? Was, wenn wir uns verweigern – nicht aus Hass, sondern aus Verantwortung? Ein stiller Garten kann dann lauter sein als jede Demonstration.

Inmitten dieser Überlegungen dominiert ein neues Angstnarrativ: Russland könnte den Westen überrollen. Die politische Antwort darauf lautet: Aufrüstung, Wehrpflicht, Panzerproduktion. Es ist die alte Sprache der Macht. Doch könnte nicht auch hier ein anderer Weg denkbar sein – ein Gandhi unserer Zeit, der nicht zu den Waffen, sondern zur Selbstermächtigung aufruft?

Sicher: Gegen einen Panzer hilft kein Spinnrad. Und ein autoritäres Regime wie das in Moskau lässt sich nicht durch moralische Appelle entwaffnen. Aber nach einem möglichen Einmarsch – wenn formale Macht etabliert ist – beginnt der Raum für passiven Widerstand: die Verweigerung der Zusammenarbeit, die Sabotage von Verwaltungsstrukturen, die Pflege einer nicht kontrollierbaren Kultur.

Die Zukunft liegt vielleicht nicht im Heldentum, sondern im Rückzug ins Wesentliche: Unabhängigkeit durch Einfachheit, Widerstand durch Entzug, Selbstbestimmung durch Selbstversorgung. Gandhi zeigte, dass das möglich ist. Viele andere zeigten, dass das Gegenteil auch möglich ist.

Welche Form unser Widerstand annimmt, entscheidet nicht die Methode, sondern die Haltung. Und manchmal beginnt der Widerstand nicht mit einem Knall, sondern mit einem Samen im Boden.

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