Ansichtssache

Wir alle kennen das Sprichwort, eine Münze habe zwei Seiten. Schon da irrt der Volksmund, denn er vergisst die Höhe der Münze – diese ist nämlich die dritte Seite einer Münze. Es mag sein, dass diese unbedeutend erscheint, aber bereits das ist Ansichtssache. Denn so eine Münze kann hier glatt sein, geriffelt, eine Verzierung aufweisen oder ein Sprichwort eingestanzt haben, etwa „Jede Münze hat zwei Seiten“.

Unlängst fand ich in einem Geschäft eine fehlgewachsene Tomate. Wir wissen, es gibt mehrere tausend Arten von Tomaten, von grün, orange, rot, bis schwarz für die kalten Regionen, damit die Tomate die Wärme der Sonne besser aufnehmen kann. Das ist Physik, doch den Tomaten wird es egal sein. Und die eben gewählte, namens Ochsenherz, eine Sorte die einmal sehr teuer gehandelt wurde, die nun aber einem Preisverfall um mehrere Zehner-Prozentpunkte unterliegt. An der Börse würde das Panik auslösen, der Dax würde interpretiert werden, warum die Ochsenherz-AG-Aktie denn nun unter Preisdruck kam, und wie und ob es morgen weitergehen könnte. Egal, ich habe zugelangt, und eben nicht bei den schön geformten, sondern bei einem in meinen Augen als Supermodell gewachsenen Unikat. Bei der Kasse, wo immer alles schnell gehen muss, so als ob der Weltuntergang kurz bevor stünde, darf das Unikat nicht beschädigt werden, denn es wuchs ihm eine Art Schnabel, wenn man so will (Ansichtssache!). Die Eile bei der Kasse ist angeblich darauf zurückzuführen, dass die vielen Damen und wenigen Quotenherren nach ihrer Schnelligkeit bei der Abwicklung eines Klienten bezahlt werden oder zumindest beim eventuellen Austritt „sie war immer flink“ ins Arbeitszeugnis geschrieben bekommen. Die Abwicklung ist wirklich rasant, man wird auch nicht mehr gefragt, ob man auf einen Kassazettel besteht, er wird lieblos in das Einkaufsbehältnis geworfen (Ich werde meinen neuen sparsamen Spruch auf „Kassazettel?“ – „Kann bleiben!“ nicht los.)

Nun muss man wissen, dass ich fehlgewachsenes Gemüse liebe, nicht etwa, weil es besser schmeckt, nein, weil es zu Spekulationen Anlass geben kann. Etwa: Warum hat sich die Gelbe Rübe zweigeteilt und die beiden Rüben haben sich unterhalb ihrer gemeinamen Basis liebevoll um einander geschlungen oder sich total auseinander gelebt; oder: Warum wuchs der Tomate ein Schnabel? Das Saatgut kann es nicht sein, das Besprühen oder Duschen mit einem Agrotoxin auch nicht, denn die Hersteller streiten jeglichen Zusammenhang zwischen Fehlbildungen und Einwirkung von Agrotoxinen ab – zumindest beim Menschen, beim Anwender, beim Konsument, beim Laborant – und natürlich auch beim Versuchstier, welches mit dem eines Tages zu verkaufenden Agrotoxin in Berührung kam – Krebs nein – nie und nimmer. Man sollte in dem Zusammenhang den Herrn Seralini erwähnen, der recht aufmüpfig dem widersprochen hat. Naja, wer da Recht hat, mag Ansichtssache sein. Ansichten von angeblichen Opfern der Agrotoxine liefert uns Pablo Piovano auf seinen Seiten. Doch halt! Es ist nichts für schwache Nerven, diese Quasimodi Südamerikas anzusehen. Wir wollen uns in der sogenannten Sauregurkenzeit, das ist jene Zeit, in denen nichts Wichtiges in den Zeitungen erscheint und – Sie haben es auch schon festgestellt – dass in dieser nach eingelegten Gurken benannten Zeit, die Zeitungen immer voll mit Rechtschreibfehlern (auch das ist Ansichtssache!) sind. Gell, liebe Redakteure, die ihr jetzt irgendwo Urlaub macht, und die Zeitungen nun von Hilfskräften geschrieben werden, lasst Euch die Sonne auf den Bauch scheinen, alles ist gut.

Man bezeichnet diese Monate im Fachjargon auch als Sommerloch (Achtung nicht hineinfallen!), weil da manche Leute in den Zeitungen zum Zug kommen, von denen man lange nichts gehört hat, in der lochfreien Zeit. So tat die deutsche Umweltministerin kund, dass man ein Artensterben bei Insekten festgestellt habe. Dies kam daher, weil die deutschen Grünen plötzlich die Umwelt wieder entdeckt haben. Sie wiederum bezogen sich auf ein paar Laien in Krefeld, die entdeckt haben wollen, dass es bei den Schmetterlingen und Nachtfaltern ein Ausbleiben der zu beobachtenden Arten und auch der Biomasse, also der Viecher, die man abwägen kann, wenn diese alle gemeinsam auf einer Waage sässen. Diese Seralinis der Entomologie gingen an das Thema ganz unbedarft und unwissenschaftlich heran und sie werden nun, weil die Frau Umweltministerin den Unsinn hinausposaunte, von den Agrariern scharf angegriffen. Ja, was soll da der unbedarfte und nur interessierte Laie dazu sagen? Auch er stellt fest, die Spezialisten unter den Schmetterlingen, deren Raupen nur ein bestimmtes Kräutlein fressen, die sieht er kaum mehr. Klar, er geht zur falschen Zeit in den falschen Lebensraum (heute Habitat, früher einmal wissenschaftlich Biotop genannt). Die Allerweltsarten oder Ubiquisten, die überall vorkommen, findet man im Frühjahr sogar auf dem Dachboden, lebend (dank Alkohol!) – sie warten auf die Sonne. Und die Spezialsten, die ihr Kräutlein nicht mehr finden, weil es der Rasenroboter abgesäbelt hat, weil der Strauch zu einheimisch ausgesehen hat und einem Exoten im Garten Platz machen musste, weil man auf die Stelle ein Haus, ein Einkaufszentrum oder einen Golfplatz gebaut hat, weil der Landwirt sein Gras dann schneidet, wenn er meint, es sei der richtige Zeitpunkt – wohlgemerkt für ihn – nicht für die Raupe, weil auf dem Acker nun mehr wachsen muss und er daher gedüngt wird, in einem Masse, dass man von Gülle- und Mistentsorgung sprechen muss und das Räupchen sich nun vor dem Erwachsenwerden vom Acker machen muss oder weil der Vertreter dem Bauern nun ein absolut giftfreies Pestizid oder Herbizid angedreht hat und weil schliesslich und endlich der Hausbrand, die Autos, Schiffe und Flugzeuge für eine Luftdüngung mit NOx sorgen, all das hat eine Kettenreaktion ausgelöst: Krefeld, Grüne, Ministerin, Agrarlobby – nur, sorry, an das Räuplein, das Falterchen – an die/das hat niemand mehr gedacht. Aber Tiere haben keine Lobby, ein paar Seralinis vielleicht, und das wars. Und das ist keine Ansichtssache! Wer sich in die Kettenraktion einlesen will mache es bei Spektrum. Wer lieber einen Film ansehen will, kann es hier tun.         

Aber lassen wir das, lassen wir die Löcher. Wir wollen uns wieder meiner wohlgeformten Tomate zuwenden und dem Sommerthema „Ansichtssache“. Wenn man diese Tomate nun dreht und wendet, so zeigt sie sich von verschiedenen Seiten und mit etwas Phantasie, kann man da etwas hinein interpretieren. Manche Zeitgenossen sehen ja auch Herzen, Drachen und Gesichter, wenn sie die Wolken beobachten. Die Gebrüder Mongolfier sahen ja auch zum Himmel und überlegten, wieso es möglich sei, dass die Wolken fliegen, wo sie doch aus Wasserdampf bestünden und Wasser bekanntlich schwerer ist als Luft. Sie zogen die richtigen Schlüsse.

Meine Überlegungen waren weitaus weniger wissenschaftlich, mir ging es darum, den Augustbeitrag mit Bildern zu versehen, weil Sauregurkenzeit und Sommerloch ist, und da passen Tomaten irgendwie gut dazu. Aber auch das ist Ansichtssache. Weil wir am selbigen Abend eine Soirée für unsere Vereinsleute hatten, musste ich einfach diese Tomate ablichten und die Fotos als Stimmungsmacher zeigen. Und weil es allen gefiel [sogar ein mitgebrachtes Hündchen jaulte], möchte ich sie dem geneigten Leser (und natürlich auch der geneigten Leserin) virtuell zur Verfügung stellen. In Zeiten wie diesen, wo wir feststellen, dass wir täglich von irgendwem hinters Licht geführt oder über den Tisch gezogen werden und wir uns ärgern, da soll Jedermann und auch Jedefrau etwas zum Lachen haben – und da meine ich nun nicht, dass man seitenweise über die Gleichstellung von Mann und Frau schreiben muss. Eigentlich müsste es ja Gleichstellung von Frau und Mann heissen. Man ist ja höflich. Andererseits, wie war das mit dem Esel? Sorry, Eselin? Oder ist das schon wieder Ansichtssache?

Eine Zeitungsmeldung belastet die österreichische Seele: ältere, alleinstehende Frauen [vulgo: Sugar Mamas] „halten“ sich neuerdings junge Flüchtlinge [vulgo Schutzsuchende], um mit den jungen Muslimen Sex zu haben – manche, so schreiben einschlägige Zeitungen bis zu vier Mal am Tag. Das belaste die Geflohenen, denn sie begäben sich in sexuelle und materielle Abhängigkeit. Da sieht man es wieder: die Nutten, Prostituierten sind Frauen, die sich ebenfalls in sexuelle und materielle Abhängigkeit begeben, oder? Oft minderjährig, verschleppt, mit dem grossen Geld angelockt, wollen sie oftmals ihrer Tristesse entfliehen, doch wohin, ohne Pass? Und, weil am Rande der Geselllschaft liegend, schert man sich offensichtlich keinen Deut um diese Frauen und Mädchen, es sind ja nur Huren! Bemerksenswert: das modernste Bundesland der Welt, Vorarlberg, hat das durch die Caritas im Ländle recherchieren lassen: und siehe da, solche Fälle seien hier nicht bekannt. Schön, dass sich die Caritas auch diesem Thema so intensiv widmen kann.          

Aber wir wollen wieder zu den Tomaten zurückkehren. Manche Zeitgenossen behaupten ja, sie schmeckten alle gleich. Ja das, Leute, kommt daher, dass der Hersteller nur mehr wenige Sorten produziert [vulgo: anbaut]. Diese Sorten haben in der Tat ähnlichen Geschmack – und, was mir aufgefallen ist – alle diese Sorten haben eine härtere Schale bekommen. Das hat für Hersteller, Händler und Verbraucher den Vorteil, dass diese Tomaten weniger empfindlich auf Druck sind. Und damit der Konsument, wir alle, nicht die Qual der Wahl haben, lässt sie der Tomaten-Designer alle etwa gleich schmecken, halt so, wie Tomaten heute schmecken müssen. Designer sind halt mitunter Einfaltspinsel und sind nicht so kreativ wie die Autobauer in Deutschland.

Es gibt natürlich noch ein Sommerthema: Regen und Überschwemmungen. Stimmt, aber, das was uns ARD und andere präsentieren, will ich hier nicht wiederkauen. Ja, die Flüsse führen Hochwasser, die Keller sind überflutet, und all das ist auf die Klimaänderung zurückzuführen. So weit so gut, eigentlich schlecht. Der Verfasser dieser Zeilen hat nicht alle Berichte gesehen, aber jene haben gereicht, um einen Schluss zu ziehen: es sind noch zu wenige Flüchtlinge in Deutschland. Blonde, blauäugige Germaninnen und Germanen füllen Sandsäcke (warum eigentlich alle Jahre wieder – ist es eine Form, der Arbeitsbeschaffung?). Sie grinsen in die Kameras oder liegen übermüdet auf den Sandsäcken herum. 17 Stunden sind genug. Irgend ein Sender hatte ja bei der letzten oder vorletzten Überschwemmungsaktion noch Flüchtlinge zeigen wollen, die brav mithelfen. Angeblich, als die Keller schon leer geräumt waren, hiess es: „Du Ali, Du nehmen diese und wieder in Keller bringen, dann herauskommen – wir Film machen“ – und der Ali lief – und die deutsche Seele hatte ihren Frieden – bis aufkam, dass es eine Schmierenkomödie war. Nun sind Wahlen vor der Tür und es könnte sein, dass man der vor zitierten, blauäugigen Seele nun weismachen will: das Boot ist noch nicht voll. 

Egal, wir kommen jetzt zu unserer Tomate, koste es, was es wolle: 

Wir waren uns einig, „alles ist OK“ 

Börsenbarometer „Bär“ und…

 …der Bulle von der Börse

 Pinocchio-Tomate „ich bin nicht gespritzt“

Du kannst mich mal…


 

Die anderen Fotos sind nicht jugendfrei und können hier aus Gründen des Jugendschutzes nicht gezeigt werden. Wir wollen nicht, dass Tomaten unsere Jugend verderben, meint

„der Brandstetter“ und grüsst aus dem Sommerloch

     

        

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